Leseprobe

Sansibar for Beginners

Eine verrückte Lovestory

„Sexy dress!“

Die Stimme klang rau, irgendwie interessant und erotisch, sie klang nach einem etwa fünfzigjährigen Mann. Sofie schaute am Leopardenmuster ihres Kleides herunter und sah neben sich ein paar nackte Beine, die in orange-roten Bermudas mit schwarzem Palmendekor steckten. Lange schmale Jungenbeine. Barfuß. Flüchtig schaute sie in ein dunkles Gesicht unbestimmbaren Alters, eher jung. Kurze Rasta-Locken, die wie Spiralfedern von seinem Kopf abstanden. Fingen auf Sansibar schon die Halbwüchsigen an, einen anzuflirten? fragte sie sich.
„Thank you“, sagte sie.
„Looks like a cheetah, kind of wild – sieht aus wie ein Gepard, irgendwie wild“, sagte er.
„Nein, eher ein Leopard, glaube ich“, sagte sie, „aber mit wild liegst du schon richtig.“
Lächelnde, etwas schräg stehende Augen. Katzenaugen. Mit tiefen Schatten darunter.
„Findest du, dass ich müde aussehe?“, fragte er unvermittelt.
„Ich habe nämlich seit drei Tagen kaum geschlafen.“
Wie ich, dachte sie.
„Ja, du siehst wirklich ziemlich müde aus“, antwortete sie.
Genau wie er, hatte sie die letzten drei Nächte auf dem Busara-Musikfestival in Stonetown, der pulsierenden Altstadt von Sansibar City, verbracht. Schon der Auftakt des Festivals war spektakulär gewesen: In einer langen, farbenprächtigen Parade waren in exotische Stammeskostüme gekleidete Menschen, federgeschmückte Schamanen und mit weißer Kreide bemalte Artisten mit nackten Oberkörpern durch die Altstadt getanzt und hatten dabei Speerkämpfe und afrikanische Heilriten imitiert. Auf der Bühne im Alten Fort hatten abends Musiker und Tänzer aus ganz Afrika das Publikum in Ekstase und die Stadt zum Rocken gebracht und Sofie hatte zu afrikanischen Rhythmen wie in Trance die halbe Nacht getanzt.

Mehrmals war sie von Massai angesprochen worden, die plötzlich wie aus dem Boden gestampft vor ihr standen, in rotkarierte Tücher gehüllt und mit weißen Plastiksandalen an den Füßen. Einer von ihnen hatte sie nach kurzer Unterhaltung sehr direkt gefragt, ob sie nicht „boyfriend and girlfriend“ werden könnten. Sie glaubte sich verhört zu haben. „Wenn du meine Freundin bist, beschütze ich dich auch“, hatte er lachend hinzugefügt und dabei auf das lange Messer gezeigt, das er unter seinem Tuch trug, was ihr Respekt eingeflößt hatte. Wie war er damit durch die Sicherheitskontrollen am Einlass gekommen? Doch anders als die Italienerinnen, die auf Sansibar dafür bekannt waren, dass sie auf Massai standen, war das nicht unbedingt bei ihr der Fall. Aber sie rochen aufregend, lachten viel und wirkten völlig unkompliziert. Auch als Sofie ihre Avancen strikt ablehnte, blieben sie freundlich und unbekümmert, sie strahlten eine frische, fast kindliche Naivität aus, die sie berührt hatte. Irgendwann verschwanden sie genauso geschmeidig und lautlos, wie sie gekommen waren.

„By the way, ich heiße Seif“, sagte der junge Mann und streckte seine Hand aus.
„Und ich heiße Sofie“, sagte sie.
„Klingt ein bisschen ähnlich“, sagte er. Sie lachten beide.
Von da an wich Seif nicht von ihrer Seite. Erstaunlicherweise gefiel es ihr, er umgab sie wie ein sanfter Wind, eine große Leichtigkeit ging von ihm aus und die Unterhaltung mit ihm entspann sich völlig mühelos, sie langweilte sich keine Sekunde mit ihrem jugendlichen Begleiter. Nur als er im Eifer seiner Erzählungen – es schien ihr absichtslos – immer näher an sie heranrückte, spürte sie ein leichtes Störgefühl und machte ihn höflich auf das größere Distanzbedürfnis einer Europäerin aufmerksam.
„Oh sorry, das habe ich überhaupt nicht bemerkt“, entschuldigte er sich und rückte ein Stück weg von ihr.
„Ich bin sehr schwarz“, sagte er plötzlich. Sie sah ihn an und fand, dass er übertrieb.
„Für mich bist du eher dunkelbraun“, erwiderte sie. „Aber ist das wichtig?“
Warum machte er sie darauf aufmerksam? Glaubte er, dass er der erste dunkelhäutige Mann war, mit dem sie in näheren Kontakt kam? Unbekümmert erzählte er, dass er sich morgens als erstes seine Gitarre griffe, um ein paar Songs zu improvisieren. „She’s my woman, you know?“ Er war Musiker und trat in verschiedenen Clubs der Insel auf. Vor ein paar Jahren war er vom Festland, von Dar es Salaam, nach Sansibar gekommen, weil die Arbeitsmöglichkeiten hier besser waren. Von Musik allein konnte er jedoch nicht leben, denn die Clubs zahlten für seine Auftritte kaum mehr als 50.000 Schilling, was umgerechnet etwa zwanzig Euro entsprach. Daher organisierte er nebenher Trips für Touristen oder begleitete sie als Guide. Zeitweilig hatte er mit seiner schwedischen Freundin ein kleines Bed & Breakfast betrieben, es dann aber aufgegeben, als die Beziehung zerbrach und er sie auszahlen musste.

„Danach bin ich total abgestürzt“, sagte er, „mit Koks. Aber das ist glücklicherweise lange her. Jetzt rauche ich nur noch Gras. Wenn du Lust hast, lade ich dich zu einem Joint ein.“
Sie hatte durchaus Lust. In Windeseile schlängelte sich Seif durch die Menschen, die inzwischen dicht gedrängt um sie herumstanden und erschien kurz darauf mit einem kleinen Papierzylinder.
„Bushweed aus Arusha“, sagte er. „Nicht besonders stark aber okay.“
Er schüttete den Inhalt des Zylinders in seine Hand, sortierte Samen und Stiele aus, vermischte das Gras mit etwas Tabak und rollte routiniert den Joint. Nach wenigen Zügen fühlte Sofie sich tiefenentspannt. Alles war gut so, wie es war. Sie hatten inzwischen auf zwei mit Sisal bespannten Holzstühlen im hinteren Bereich des Clubs Platz genommen, wo sie das Geschehen beobachten, sich aber trotzdem unterhalten konnten. Dunkelhäutige Sansibaris und hellhäutige Europäerinnen waren in Gespräche vertieft oder verausgabten sich auf der Tanzfläche. Das war das Faszinierende an Sansibars Sozialleben: Dass sich hier Einheimische, Zugewanderte (auch Expats genannt) und Urlauber verschiedener Altersgruppen völlig zwanglos mischten.
„Wie ist der Tourismus eigentlich für die einheimische Bevölkerung, die doch sicher noch stark in ihren alten Traditionen verhaftet ist?“, fragte Sofie.
„Wie alles im Leben hat das zwei Seiten“, gab er zurück. „Einerseits ist der Tourismus natürlich gut, andererseits zerstört er allerdings das ursprüngliche Leben der Fischer hier. Jambiani hat sich in den letzten Jahren sehr nach vorn entwickelt, aber viele Leute haben ihre Grundstücke viel zu günstig an Europäer verkauft, die überall am Strand Hotels und Restaurants gebaut und damit viel Geld verdient haben. Allerdings gibt es dadurch auch mehr Arbeitsplätze“, räumte er ein.

„Und die Freizügigkeit der Touristen – stellt die für die muslimische Bevölkerung kein Problem dar?“ Sofie hatte gelesen, dass 95 Prozent Muslime sind und sich gewundert, als sie in den Straßen Stonetowns junge NGO-Mitarbeiterinnen lediglich mit kurzen Shorts und Spaghetti-Träger-Hemdchen bekleidet gesehen hatte.
„Was das betrifft, sind die Sansibaris eher tolerant, hakuna matata, kein Problem, denn sie wissen, dass die Touristen Geld bringen. Aber um einen besseren Eindruck zu bekommen, kann ich dir nur empfehlen, mal ins Dorf oder auch ins Landesinnere zu gehen und dir selbst ein Bild davon zu machen, wie die Menschen dort leben.“
Dieser junge Mann mit dem Körper eines Achtzehnjährigen und dem Verstand und der Stimme eines Fünfzigjährigen erstaunte Sofie. Er wirkte europäisch auf sie.
„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte sie.
„Ich bin vierunddreißig“, erwiderte er. „Und du?“
„Das fragt man eine Lady doch nicht.“
„Ich schätze dich auf Ende Anfang fünfzig, aber eigentlich siehst du jünger aus“, sagte er. „Die meisten Männer in meinem Alter fühlen sich älteren Frauen gegenüber unterlegen, aber bei mir ist das nicht so. Ich finde dich übrigens echt süß!“
Sofie stockte der Atem. Erst fand sie ihn etwas frech, dann fühlte sie sich geschmeichelt und vor allem jünger als sie war.
„So, so, süß“, sagte sie ironisch.
„Ja, und ich finde es spannend, eine Frau zu treffen, die über so viel Lebenserfahrung verfügt.“
Hatte sie wirklich so viel Lebenserfahrung wie es ihrem Alter entsprach? In ihr meldeten sich leise Zweifel. Oft fühlte sie sich unreif. Aber dass er Beratungsbedarf andeutete, fand sie interessant. Er hörte ihr jedenfalls genau zu. Als er irgendwann „Fuck capitalism“ sagte, unterbrach sie ihn.
„Bist du neidisch auf Leute, die mehr haben als du?“
Er guckte etwas irritiert und sagte dann nach kurzer Überlegung: „Ja, aber auf gute Weise. Weißt du, es ist eher Selbstentwicklungs-Neid, der mich anspornt, mehr zu tun.“

Sie fand ihn originell.
„Ich finde, wir müssen uns definitiv wiedersehen“, sagte er. „Am Donnerstag singe ich übrigens im Demani in Paje, das ist im Nachbardorf – komm doch da hin!“
„Ja, warum nicht, ich würde dich gerne hören.“
„Aha, du willst mich also nicht sehen, du willst mich nur hören?“
„Genauso ist es!“, sagte Sofie lachend.
Aus irgendeinem Grund hatte sie es den ganzen Abend vermieden, ihn genauer anzusehen. Vielleicht lag es an den Schatten unter seinen Augen. Sie bekam einfach kein genaues Bild von ihm. Sie schaute auf die Uhr.
„Ich muss gehen, mein Taxi ist sicher schon da.“
„Vorher muss ich dir noch etwas zeigen“, sagte er. Geschickt bahnte er sich und ihr einen Weg durch das dichte Gedrängel, indem er die Menschen sanft mal nach rechts, mal nach links schob.
„Ich weiß, wie man Menschen bewegt“, sagte er und drehte sich kurz zu ihr um, lächelnd.
Aus den Augenwinkeln konnte sie erkennen, dass sie Aufsehen erregten, Kommentare wie „You’re looking cool, like a young girl“ flogen ihr entgegen, während sie zum Ausgang strebten. Draußen setzte sich Seif auf einen großen Stein und deutete nach oben. Über ihnen erstreckte sich der phantastischste Sternenhimmel, den Sofie je gesehen hatte. Inmitten von abertausenden hell leuchtenden Sternen war die Milchstraße als breites Lichtband deutlich sichtbar. „Unglaublich“, flüsterte sie beeindruckt, überlegte, ob sie sich auf den Stein neben Seif setzen sollte, fand es dann aber doch zu eng.
Glücklicherweise fuhr in dem Moment das Taxi vor.
„Hey, wenn du Lust hast, kannst du mich auf Facebook adden“, sagte er, als er die Tür für sie öffnete.